G.F. Händel
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Musik der Welt
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LESEPROBE

Aus dem Buch

"Leben und Musik des Georg Friedrich Händel"
von
John Mainwaring


Georg Friedrich Händel ist am 23. Februar 1685 zu Halle an der Saale in zweiter Ehe seines Vaters Georg geboren, welcher daselbst ein wohlangesehener Wundarzt und zu der Zeit schon über 60 Jahre alt war. (Der Verfasser nennt Halle eine Stadt in Obersachsen zu Unrecht, denn sie liegt im Herzogtum Magdeburg, welches zu Niedersachsen gehört. Folglich ist Händel kein Ober- sonder vielmehr ein Niedersachse gewesen. Der Übersetzer). Derselbe hatte auch eine Tochter von seiner letzten Frau, zu welcher unser Händel allemal eine besondere Gewogenheit trug, und seiner Nichte, als ihrer Tochter, die noch im Leben ist, den grössten Teil seines beträchtlichen Vermögens hinterlassen hat.

Er hatte noch das siebente Jahr nicht erreicht, als er sich mit seinem Vater an den weißenfelsischen Hof begab. Das heftige Verlangen, seinen Halbbruder allda zu besuchen, der ihn an Alter viel übertraf und des Herzogs Kammerdiener war, trieb ihn dazu an. Der Vater hätte ihn lieber zu Hause gelassen und fuhr hinweg, ohne ihn mitzunehmen: weil sich seine Gegenwart dabei nicht schicken würde, da der Arzt nur in Verrichtungen seines Berufs zum Fürsten gefordert worden. Der Knabe fand, dass sein Bitten und Flehen umsonst war, nahm daher seine Zuflucht zu dem einzigen ihm verbliebenen Mittel und beobachtete die Zeit, da sein Vater abfuhr, verbarg sein Vorhaben und folgte dem Wagen zu Fuße nach. Vermutlich hielten die schlechten Wege oder ein anderer Zufall das Fuhrwerk etwas auf, so dass es der Sohn noch einholte, ehe es weit entfernt war. Den Vater befremdete diese Kühnheit und er schien über solchen Eigensinn so missvergnügt, dass er kaum wußte, was er hierbei tun sollte. Er fragte also: wie habt ihr euch dieses unterfangen dürfen, nachdem es euch so ernstlich untersaget worden? Statt der Antwort aber erneuerte der Knabe sein dringendes Ansuchen und brauchte dazu solche bewegende Reden, dass er endlich aufgenommen und nach Hofe gebracht ward, allwo er ein unsägliches Vergnügen spüren ließ, seinen besagten Bruder, den er noch niemals gesehen hatte, in Gesundheit anzutreffen.
Dieses war aber nicht das erste Exempel, mit welchem es dem Vater misslungen, den Neigungen seines Sohnes gehörigen Einhalt zu gebieten. Es erfordert eine weitere Erklärung, ehe wir berichten können, was hernach am weißenfelsischen Hof vorgefallen ist
.
Von Kindesbeinen an hat dieser Händel eine solche ungemeine Lust zur Musik gezeigt, dass sein Vater, der ihn sonst zum Juristen bestimmet hatte, darüber in Unruhe geriet. Als er aber nun merkte, dass dieser Trieb sich je länger je mehr äußerte, wurden alle Mittel ergriffen, demselben zu widerstehen. Fürs Erste verbot er ihm nachdrücklich, sich mit keinerlei Art musikalischer Instrumente abzugeben. Ja, es durfte nichts dergleichen ins Haus kommen und ihm ward auch nicht einmal zugestanden, irgendwo hinzugehen, da er so was antreffen konnte. Dem ungeachtet vermehrten all diese Fürsorge und Mühe nur des Knaben Liebe zur Tonkunst, anstatt solche zu dämpfen.

Er hatte nämlich Mittel gefunden, ein kleines Klavicordium ganz heimlich ins Haus zu bringen und unter dem Dache hinzustellen. Sobald sich nun jedermann zur Ruhe begeben, schlich er hinauf zu seinem Spielwerk, denn er hatte schon vorher, ehe es ihm verboten worden war, etwas Weniges in der Musik erlernet und brachte es hernach durch seine nächtlichen Übungen zu einer Fertigkeit, die zwar damals in keine sonderliche Beobachtung kam, doch aber ein gewisser Vorbote seiner künftigen Geschicklichkeit war.

Und hier besorge ich eben nicht, meinem Leser zu missfallen, wenn ich ihn dergleichen wunderbarer Beschaffenheit erinnere, die sich — in ziemlicher Ähnlichkeit — zwischen Pascals und Händels jugendlichen Jahren befindet, so wie die Schwester des Erstgenannten solche an ihrem Bruder beschrieben hat. (Dem Tycho Brahe und dem Übersetzer ist es, jedem nach seiner Art, fast ebenso ergangen. Der Übersetzer). Dem Triebe des einen zur Messkunst und des anderen zur Musik war nichts zu vergleichen. Als Kinder taten sie es schon den Alten zuvor; sie setzten ihren Fleiß nicht nur ohne Beistand sondern auch mit äußerstem Widerwillen ihrer Eltern getrost fort und boten aller nur erdenklichen Gegenwehr Trotz.

Wir haben unsern kleinen Reisemann mit seinem Vater soeben am Hofe des Herzogs von Weißenfels verlassen, daselbst war es aber nicht so leicht, ihn vom Klavier zu enthalten, als in Halle: indem der Arzt wohl etwas anderes zu tun hatte, als dass er seinen Sohn, wie zu Hause geschehen, immer vor Augen haben sollte. Doch entdeckte er auch dort seinen guten Freunden, welchergestalt der Knabe so gar sehr auf die Tonkunst erpicht sei, dass man ihn bisher mit der größten Sorgfalt davon abzukehren nicht vermögend gewesen. Man könne, sagte er, leicht vorhersehen, wenn seine Neigung nicht bald unterdrückt würde, dass ihm dieselbe allen Fortgang in derjenigen Wissenschaft abschneiden müsste, dazu er bestimmt sei und dass eben dadurch der ganze Plan seiner Erziehung ins Stocken geraten werde. Jedermann gab dieses zwar zu, im Fall man notwendig auf dem Vorsatz beharre, den Knaben zur Rechtsgelehrsamkeit anzuführen. Allein viele zweifelten daran, dass es der Klugheit gemäß sei. Man führte an, wo sich die Natur so stark erklärte, da würde der Widerstand nicht nur fruchtlos sondern mit Schaden ablaufen. Einige hielten dafür, dass die Sache, allen Umständen nach, schon zu weit gekommen und nicht mehr zu helfen sei. Man müsste ihm denn, um seinem Spielen ein Ende zu machen, die Finger gar abschneiden. Andere wandten dagegen ein, dass es Schade wäre, wenn man ihm das Geringste in den Weg legte. So lauteten die Meinungen der guten Freunde des Vaters, wegen seines Sohnes. Es scheint aber nicht, dass dieselben etwas Sonderliches bewirkt hätten, denn ein bloßer Zufall tat viel mehr und hub ihr ganzes Gewicht und Ansehen auf einmal auf.

Es begab sich, da der kleine Händel, nach geendigtem Gottesdienste, sich zum Ausgang auf der Orgel hören ließ, während der Herzog in der Kirche zugegen war. Die Art zu spielen erweckte seine Aufmerksamkeit dergestalt, dass er, bei der Wiederkehr aus der Kapelle, seinen Kammerdiener fragte, wer es gewesen, der sich auf der Orgel so wohl gehalten hätte. Und erhielt zur Antwort: sein Bruder habe solches getan. Hierauf ließ ihn der Herzog rufen. Er erschien. Und nachdem Ihro Durchlaucht sich bei ihm nach allem erkundiget, was ein Herr, der Verstand und Geschmack besitzet, natürlicher Weise erfordern kann, sagten sie zum Vater: es müsse zwar ein jeder am besten wissen, wozu er seine Kinder anführen wolle. Allein, meines Erachtens, fuhr der Herr fort, wäre es eine Sünde wider das gemeine Beste und die Nachkommen, wenn man die Welt eines solchen anwachsenden Geistes gleich in der Jugend beraubte.

Dieser Vorstellung ungeachtet blieb der Alte dennoch, im Artikel der Rechtsgelehrsamkeit, bei seinem gefassten Vorurteil. Und obgleich er überzeugt war, dass es fast notwendig sei, dem Sohn nachzugeben, auch dazu seine Schuldigkeit erforderte, dem Rat und Ansinnen des Herzogs Folge zu leisten, geschah es doch nicht ohne größten Widerwillen, dass er seinen Entschluss änderte. Die Erwägung des Fürsten, indem derselbe dem Sohn die Gnade der Beachtung erwiese und seine Durchlaucht eigene Meinung von besserer Erziehungsart, hielten den guten Arzt doch nicht ab, dem Herzog vorzustellen, dass, obgleich die Musik eine artige Kunst und ein hübscher Zeitvertrieb sei, dieselbe dennoch, wenn sie als eines Menschen Hauptwerk betrachtet würde, deswegen nur geringerer Würde wäre, weil sie allein zu nichts anderes als zur Belustigung und Ergötzung diene und was immer auch der Sohn für einen hohen Grad in solcher Kunst erlangen möge, sei doch, nach seinen Gedanken, auch ein geringerer Grad in vielen anderen Wissenschaften jenem billig vorzuziehen.

Der Herzog konnte der Meinung seines Arztes, die er so handwerksmäßig von der Musik hegte, desto weniger beipflichten, je mehr dieselbe verkleinerlicht und niederträchtig ausfiel, in Erwägung, dass ein jeder vortrefflicher Mann, sei er in diesem oder jenem Stande, allemal großer Ehren wert ist. Und was den Nutzen oder Gewinn beträfe, sagte der Herzog, so würde derselbe viel leichter erhalten werden, wenn man der Natur und Vorsehung folgte, die bereits dazu die Bahne brächen, als wenn man einen zwänge, andere Wege zu erwählen, zu welchen er keine Neigung sondern vielmehr großen Abscheu davor trüge. Endlich schloss der Prinz, dass er weit davon entfernt sei, das musikalische Studium, mit Ausschließung des bürgerlichen Rechts und der Sprachen, jemand anzupreisen, im Fall es möglich sei, dieselbe miteinander glücklich zu verbinden. Was er wünsche ziele nur dahin, dass den Kindern nicht zu nahe geschehe, keine Gewalt gegen dieselben gebraucht und absonderlich gegenwärtigem Knaben die Freiheit gelassen würde, dem natürlichen Hang seines Geistes zu folgen. Es treibe ihn auch derselbe zu welchem guten Zwecke er immer wolle.

Die Augen des Sohnes waren bei dieser Unterredung stets auf seinen mächtigen Fürsprecher gerichtet und seine Ohren waren nicht minder aufgetan und gefüllt in Erwartung des Eindrucks, welchen des Prinzen Worte im Gemüte seines Vaters hervorbringen würden. Der Ausgang war endlich dieser, dass nicht nur die Musik geduldet sondern auch sein Lehrer derselben gebraucht werden sollte, der, bei des Knaben Rückkehr nach Halle, dem selber hierunter allen Beistand und gute Anweisung leistete. Dazu denn auch, bei der Abreise, der Herzog dem Sohn die Taschen mit Geld füllte und in aller Freundlichkeit zu ihm sagte, wenn er fleißig sein würde, sollte es an Aufmunterung nicht fehlen.

Die große Höflichkeit, so ihm in Weißenfels erwiesen worden, der glückliche Ausgang, welchen oben erwähnte Unterredung gewonnen, in Sonderheit aber die gnädige und freigiebige Beurlaubung, welche der Knabe von Seiner Durchlaucht erhalten, lagen ihm so oft im Sinn, dass sie seinen angeborenen Eifer sehr anreizten und den eingepflanzten natürlichen Ehrgeiz, welchen er schon so frühzeitig blicken ließ, je länger je mehr erhitzten.
Das erste demnach, das der Vater bei seiner Heimkunft vornahm, bestand darin, dass er dem Zachau, einem hallischen Organisten an der hallischen Domkirche, seinen Sohn übergab. (Friedrich Wilhelm Zachau, ein Leipziger von Geburt und trefflicher Organist in Halle, starb daselbst 1712. Der Übersetzer). Der Mann war sehr stark in seiner Kunst und besaß eben so viel Geschicklichkeit als guten Willen, einem Untergebenen großer Hoffnung alles Recht widerfahren zu lassen. Händel stand ihm wohl gut an, dass er ihm nimmer Liebes und Gutes genug erweisen zu können vermeinte. Seine Bemühung ging gleich Anfangs dahin, ihm die Grundsätze der Harmonie beizubringen. Zunächst wandte er seine Gedanken auf die Erfindungskunst, solche in besseren Stand zu setzen und seinem Untergebenen einen auserlesenen Geschmack beizubringen. Zachau besaß eine ansehnliche Sammlung italienischer und deutscher Musikalien. Er zeigte dem Händel die mannigfaltigen Schreib- und Setzarten verschiedener Völker nebst eines jeden besonderen Verfassers Vorzügen und Mängeln. Und damit er auch eben sowohl in der Ausübung als in der Beschaulichkeit zunehmen möge, schrieb er ihm gewisse Aufgaben vor, solche auszuarbeiten, ließ ihn oft rare Sachen abschreiben, damit er ihresgleichen nicht nur spielen sondern auch setzen lernte. Solchem nach fand unser Lehrling mehr Arbeit und größere Erfahrung, als sonst gemeinhin ein anderer bei seiner Jugend zu haben pflegt.

Zachau wußte sich nicht wenig mit diesem Untergebenen, der schon anfing die Aufmerksamkeit der Liebhaber um Halle herum auf sich zu ziehen, da sie mehrteils seinetwegen hinkamen. Der gute Organist war auch froh, einen solchen Gehilfen zu haben, dessen ungemeine Gaben ihn fähig machten, des Meisters Stelle zu vertreten, wenn derselbe etwa abwesend ein würde. Denn das begab sich sehr oft, weil dieser eine gute Gesellschaft und ein volles Glas liebte. (Hätte denn nicht Händels Leben gut genug beschrieben werden können, ohne diesen braven Tonkünstler Zachau, 40 Jahre nach seinem Tode wegen eines Glases Weins zu beschimpfen. Der Übersetzer). Es klingt wohl etwas seltsam, von einem siebenjährigen Substituten zu reden. Denn älter konnte er nicht sein, wo er es noch in der Tat gewesen zur Zeit, da er seinem Lehrherrn anvertraut worden. (Das sich der Verfasser dieser Geschichtserzählung nicht das geringste Gewissen gemacht habe, die handgreiflichsten Anachronismen zu begehen um seinen Helden allzeit je länger je jünger zu machen, wird sich aus der Folge beweislich erhellen. Der Übersetzer). Allein, es wird noch seltsamer lauten, dass er im neunten Jahre schon angefangen, Kirchenstücke mit Stimmen und Instrumenten zu setzen und hernach wöchentlich damit vier Jahre hindurch fortzufahren. Doch müssen wir auch nicht vergessen, dass er schon vorher zu Hause ein und anderes gefasst, ehe sein Vater sich darüber entrüstet und ihm den Gebrauch musikalischer Werkzeuge untersagt hatte. Ferner, dass er sich bei gestohlenen Stunden auf dem Klavier weiter fortgeholfen, auch den kurzen Aufenthalt zu Weißenfels sehr wohl genutzt, woselbst er verschiedene Instrumente und mehr Bewunderer gefunden...

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