INFORMATIONEN ZUM ALBUM
Rüdiger Oppermann
NEUES AUS HARFISTAN
- Klangbilder für Harfen -
(Wundertüte CD TÜT 72.131)
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ZUR AWEN HARFE
Awen...
... bretonisch: Inspiration, magischer Bewusstseinszustand der Barden ....
Die neue Awen-Harfe ist eine Weiterentwicklung der alten keltischen Harfe / Clairseach. Sie ist größer und schlanker, etwa wie die deutsche Volksharfe, von der sie auch das gebogene Korpus übernommen hat. Geblieben ist die typische Bespannung mit Bronze-Saiten, die sie im Klang (und in der Speltechnik) erheblich von allen anderen Harfen unterscheidet. Die Speltechnik ist in einem viel größeren Ausmaß auch Dämpf-Tchnik - die Saiten müsen oft nach dem Anzupfen wieder abgedämpft werden. Die Harfe ist diatonisch gestimmt, d.h. es werden nur sieben Töne pro Oktove benutzt. Die dazugehörige Musik ist also noch modal, wie bei den Alten. Deshalb ist ihre Stimmung keine moderne, gleichschwebend-temperierte Klavierstimmung, sondern eine zentraltönige mit vielen "natürlichen", mathematisch exakten Intervallen.
Eine entscheidende Veränderung aber ist die Entwicklung einer neuen Mechanik, die das stufenlose Ziehen einzelner Töne erlaubt (also keine Halbtonmechanik). Damit betritt der Harfenist das Feld der Mikro-Tonalität, aber auch das der bluesartigen oder asiatisch anmutenden Tonformung. Der einzelne Ton ist ja leider auf der regulären Harfe (sei sie keltisch oder klassische Konzertharfe) nur wenig formbar, jedenfalls im Vergleich zu anderen Instrumenten wie Violine, Saxophon oder Flöte. Deshalb bestand die Kunst des Harfenisten bzw. Harfen-Komponisten vor allem im mehr oder weniger kunstvollenZusammenfügen vorgeformten Tonmaterials. Dieses Mako versuchte ich auszuheben durch besonders präzisen Anschlag, Vibrato-Effekte vermittels Druck auf die Resonanzdecke, Verfremdung (Papierstreifen zwischen den Saiten) und exotische Stimmungen. Einiges davon ist ja schon auf "Reise Nach Harfistan" zu hören. Mit der neuen Mechanik eröffnen sich für die Harfe ungeahnte Horizonte. Sie ist zum Melodieinstrument geworden. Der einzelne Ton entfaltet eine Kraft, die er noch nie zuvor hatte.
Mit dieser neuen Harfe hat sich auch meine Musik verändert. Sie inspiriert mich zu neuen Klängen. Sie lehrt mich und ich lehre sie. Daher der Name "Awen". Im Harfenbau wie im -Spiel gilt für mich das gleiche Prinzip: überliefertes genau in seinem Geist zu erfassen und etwas Neues daraus machen. Daher auch die breit gefächerten Einflüsse aus verschiedensten Musikwelten und - Stilen auf meine musikalische Arbeit. Von uralter Volksmusik, mittelalterlicher Musik aus Irland, Deutschland und Frankreich, über die Kunstmusik anderer Kulturen wie Bali, Java, Zentralafrika, Inden oder China und Neue Musik a la Steve Reich, Lou Harrison oder Arvo Pärt bis zu Blues und Jazz.
Musik ist das bevorzugte Medium, in dem schon lange ein Verständnis mit anderen Kulturen praktiziert wird. Auf dem Weg zu einer gemeinsamen Weltkultur hoffe ich, daß uns nicht nur grenzüberschreitende Naturzerstörung, multinationales Kommerzdenken und militärische Gewalt beschäftigen, sondern dagegen ein neues, produktives Bewußtsein des gegenseitigen Respekts, der kulturellen Vielfalt, Bescheidung und Freundschaft entfaltet.
DIE EINZELWERKE DES ALBUMS
SONG FOR JULIUS (Harfe, Saxophon, Bass):
Entstanden zur Geburt meines Sohnes Julius am 17. Okeober 1987..
NEUES AUS HARFISTAN (Harfe):
Schon das einleitende Solo präsentiert neue Klänge aus Harfistan. News from Harfistan - Blues from Harfistan! Blues-licks auf der Harfe zu spielen war seit Jimi Hendrix mein Traum.
GYMNOPEDIE Nr. 3 (Konzertharfe, Drahtharfe):
Erik Satie schrieb dieses einfache, klar verhaltene Stück 1888 für Piano solo. In der bewußten Beschränkung aus Weniges ist eine Antwort auf die lassisch- romantische Musik des ausgehenden 19. Jahrhunderts zu sehen. Wie man hören kann, passen die Gymnopédien auch gut zur Harfe. In diesem Fall für Konzertharfe und Drahtharfe.
5 VOR 3 (Drahtharfe):
Das Stück mit seinen drei Teilen im 5/4 Takt entstand im Sommer 1983 in San Francisco. Im zweiten Teil hört man acht schön-schräge Akkorde, die alle auf dem selben Grundton aufbauen. Der dritte Teilgreift ein Volkslied aus Afgahanistan auf, das ich dort 1976 auf der Rubab kennen lernte.
ÜBERHOLSPUR (Zwei Irische Harfen):
Beide Harfen spielen die gleiche Tonfolge. Die eine (links) bleibt ihrer pulsierenden Struktur treu, die andere (rechts) legt ab und zu seine Achtelpause ein. Dadurch wird sie allmählich von ihrer steten Kollegin überholt. Nach mehrfachen Überholungen kommt sie natürlich wieder mit ihr zusammen, nur ist sie quasi eine ganze Runde im Verzug. Komponiert im Sommer 1985 in Santa Cruz, angeregt durch Steve Reichs "handclapping"..
MORGENFLUG (Drahtharfe, Bass, Saxophon, Percussion):
Aus heiterem Himmel entstanden aus Improvisationen über eine indische Bordunlinie bei Proben meiner Band "Harp Attack" 1987 im Schloß Freiberg in Graz.
BEAM ME BACK, MERLIN! (Electroharp, Bass):
Hat sich einer in der Zeit geirrt? Zu früh? Zu spät? Hier begegnen sich Vergangenheit und Zukunft.
ZU TEE BEI HA QY (Fünf Teetrinker):
Ein Stück Alltagsmusik. Schon lange hat mich die erbarmungslose Beharrlichkeit beeindruckt, mit der Ha Qy den Honig in ihrem Teeglas oder ihrer Müslischale zerrührte. Und ich dachte bei mir, was whl wäre, wenn das jeder so machte?! Es ergäbe, sozusagen, Polyrhythmik per excellence. - Ein Stück Alltagsmusik über versteckte Beziehungen.
VALSE MÉLANCOLIQUE (Harfe solo):
Über die Unzulänglichkeiten des Daseins. Für Kristen Nogues, eine nahe Nachbarin und gute Freundin aus Harfistan. Die Harfe ist C-Es-F-F-G-A-H-C gestimmt.
ABENDLIED DES TRUNKENEN FISCHERS (Mbira, Harfen, Schlagbordun, Djembé, Schrottophon):
Das Schrottophon besteht aus Abflußrohren, Messingplatten, Bremsscheiben, einem Stück Wasserleitung, Stahlträgern und Eisenschrott. Das Material mag neu erscheinen, die Methode ist es nicht. Der trunkene Fischer hat sich lediglich auf dem Weg nach Harfistan zwischen Kongo, Java und China verirrt. Aber wenigstens kommen ihm vertraute Klänge zu Gehör. Vorzugsweise nach 23 Uhr zu belauschen.
REQUIEM FÜR GÜNTER SARE (Zwei Irische Harfen):
Im Herbst 1985, als ich von einer Auslandsreise zurück gekommen war und die erste heimische Zeitung in die Hand nahm, sprang mich die bundesdeutsche Wirklichkeit wieder brutal an. Günter Sare war von einem Wasserwerfer überfahren und getötet worden. Er hatte an einer Demonstration gegen Neonaziamua teilgenommen. Ich dachte, das darf nicht vergessen werden. Meine Wut und meine Trauer machen dieses Requiem aus. Es räumt auch mit dem romantisierenden Vorurteil vom ausschließlichen Schön-Klang der Harfe auf. Die Schlußakkorde sind einem alten Choral entnommen.
(Rüdiger Oppermann)
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