Vivir En Libertad
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aus dem Booklet
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Inti Illimani Histórico

"VIVIR EN LIBERTAD"






Leseprobe aus der Einführung

INTI ILLIMANI – DIE SONNE DES ILLIMANI


Als im Mai 1967 Studenten an der Universität von Santiago de Chile beschlossen, eine Band ins Leben zu rufen und ihr Projekt „Inti Illimani“ aus der Taufe hoben, konnten sie kaum ahnen, welche weitreichenden Auswirkungen diese Initiative einmal zeitigen sollte. Für ihr persönliches Leben, für die kulturelle Entwicklung ihres Heimatlandes, die Musik Lateinamerikas und nicht zuletzt für die alternative (Folk-) Musikszene im fernen Europa und darüber hinaus. Der rebellische Zeitgeist hatte damals auch die studentische Jugend Chiles erfasst. Politische Themen waren auf die Tagesordnung gekommen, soziale Verhältnisse rückten in den Focus des Interesses, Autoritäten wurden hinterfragt, kulturelle Wurzeln und Identitäten in den Blick genommen, Musikschaffen und politisches Engagement miteinander verknüpft. Protest lag in der Luft. Gegen Ungerechtigkeit, Unterdrückung und Ausbeutung, gegen Krieg und Gewalt, gegen den Krieg in Vietnam. Forderungen wurden artikuliert. Nach einem Recht auf Leben in Frieden, nach Selbstbestimmung, Freiheit und einer demokratischen Gesellschaft mit menschenwürdigen Lebensbedingungen, Chancengleichheit, Bildung und kultureller Teilhabe für alle Menschen. Viele wollten die Welt verändern. Die Dinge gerieten in Bewegung, da war kein Halten mehr.

Wenige Monate nach Gründung von Inti Illimani gesellte sich noch ein blutjunger Bursche namens Horacio Salinas hinzu, der im Alter von gerade einmal 17 Jahren bereits über profunde Kenntnisse und praktische Erfahrungen im Musikmetier verfügte und rasch zum musikalischen Leiter des Ensembles avancierte. Er und seine Mitstreiter begannen, die traditionelle Musik Lateinamerikas zu erkunden, sich mit den Überlieferungen indigener Kulturen ebenso wie mit der zeitgenössischen Musik aus allen Teilen der Welt sowie der klassischen Musik auseinander
zu setzen und sich dem politischen Lied und dem Protestsong zuzuwenden. Zuvor schon hatten sich Künstler wie die Sängerin Violeta Parra und deren Kinder Isabel und Angel mit der Entwicklung einer neuen, spezifisch lateinamerikanischen Form des politisch ambitionierten Liedes einen Namen gemacht, der Nueva Canción, welche auf Einflüssen spanischer und kubanischer Musiktraditionen, den Traditionen der Andinen Musik, der chilenischen Cueca und der Música Negra basiert. Violeta Parras Arbeit in diesem Zusammenhang begann in den 1950er Jahren mit einer systematischen Erforschung der Volksmusik des ländlichen Chile. Ab 1965 betrieben Isabel und Angel Para in Santiago den Club „La Peña de los Parras“, der zur Heimstatt der Nueva Canción Bewegung wurde. Im Umfeld der Parras, des Sängers und Liedermachers Victor Jara oder des Schriftstellers Pablo Neruda war ein Netzwerk kritischer Künstler entstanden, das der Nueva Canción in Chile zu einer ersten Blüte verhalf und auf ganz Lateinamerika ausstrahlte. Vor diesem Hintergrund entwickelten sich Inti Illimani sehr bald schon zu führenden Interpreten des Genres. Ihr Augenmerk galt vor allem der Harmonie musikalischer Elemente mit inhaltlichen Aussagen, der Entwicklung einer wirkungsvollen, eigenständigen Ästhetik, einer kunstvollen Verschmelzung von Poesie und Musik, filigraner Virtuosität mit pointierten Botschaften. So lag es auf der Hand, dass die Musiker von Inti Illimani zusammen mit anderen Protagonisten des neuen Chilenischen Liedes ihre künstlerische Arbeit auch in den Dienst der wachsenden Demokratiebewegung ihres Landes stellten und sich auf ihre Weise für einen politischen Wandel einsetzten ...


Leseprobe aus dem Kapitel

WIE MONATE ZU JAHREN WURDEN
Zweimal Exil in Deutschland
Von Rainer Schobeß

„Ich bin ein Weltmensch,“ sagt Eva Tichauer Moritz in Göttingen. „Ich bin ein ausländischer Ossi,“ sagt Mario Fuentes Delgado in Rostock. Beide sind Chilenen und leben seit fast vier Jahrzehnten
im Exil: Mario kam 1975 in die DDR, Eva in die Bundesrepublik. Die Lieder der Nueva Canción Chilena haben sie begleitet, Lieder von Victor Jara, Isabel Parra, Inti Illimani, Quilapayún oder Los Jaivas.

Am 11. September 1973, dem Tag des Putsches, fuhr Eva Tichauer Moritz morgens ins historische Hotel City in Santiago de Chile. Sie arbeitete dort als Übersetzerin in der Rezeption, zusätzlich zu ihrem Job als Lehrerin. Das Hotel war genau um die Ecke von La Moneda, dem Palast des Präsidenten Salvador Allende, der mittags von den Militärs bombardiert wurde. „Wir haben alles mitbekommen“, erzählt Eva, „wir sind in den Hof gegangen, und da sahen wir die Flugzeuge. Dann kamen Leute, die in der Gegend wohnten. Einer, ich hasse ihn noch immer, kam rein und sagte: ‚Ich hab einen angezeigt‘. Er hatte gesehen, wie vom Dachsims seines Hauses Munitionshülsen fielen. Jemand hatte geschossen,und da hat er ihn sofort bei den Militärs angezeigt. Er war sehr stolz darauf, dass dieser Mann gleich getötet wurde. Damit kam er ins Hotel und erzählte davon. Ich werde das nie vergessen.“

In der Nacht vom 10. auf den 11. September 1973 ging Mario Fuentes Delgado in Santiago nach Hause, um sich auszuschlafen. Er gehörte zu den Personen- und Objektschützern Salvador Allendes, zur Grupo de Amigos Personales (GAP). Nach wochenlangem Dienst sollte er sich bei seiner Familie ausruhen. Als er am nächsten Morgen aufwachte, waren Soldaten auf der Straße. „Es war ziemlich aufregend“, erinnert sich Mario, „alle Rundfunksender spielten nur Militärmusik und es wurde durchgesagt, die Leute sollten zuhause bleiben. Meine Organisation hat mich gegen Mittag geholt. Wir dachten, wir stellen uns gegen die Militärs. Wir haben uns umgezogen und bereitgemacht für den Kampf. Plötzlich kam der Befehl zum Rückzug. Es war sinnlos, auf die Straße zu gehen und sich umbringen zu lassen“. Als Eva Tichauer Moritz an diesem Abend nach Hause fuhr, sah sie Berge von Toten auf der Plaza de Armas. In den nächsten Tagen war sie ein paar Mal am Río Mapocho, der mitten durch Santiago fließt. Auf dem Wasser trieben die Leichen von Erschossenen vorbei. „Ich hätte nie gedacht, dass es so schlimm kommen würde“, erzählt Eva, „aber wir mussten uns irgendwie arrangieren. Ich habe einfach weiter gearbeitet, das war nicht einfach.“

Eva Tichauer Moritz wurde 1944 in Valparaíso als Kind deutscher Juden geboren, die vor den Nationalsozialisten nach Chile geflohen waren. Mario Fuentes Delgado kam 1948 in Santiago de Chile zur Welt. Als der Putsch geschah, hatten beide Verwandtschaft in Deutschland. Marios Vater Julio Fuentes Molina arbeitete damals beim Fernsehen der DDR in Berlin-Adlershof. Evas Bruder lebte als Werbefotograf in Hamburg. Aber weder Mario noch Eva haben zunächst daran gedacht, nach Deutschland ins Exil zu gehen. „Später wurde mein Mann festgenommen“, berichtet Eva, „am 21. Mai 1974 hatten wir eine Hausdurchsuchung, und sie haben gesagt: ‘Wir haben Ihren Mann‘. Die Kinder sind fast verrückt geworden. Meine Tochter war damals acht, mein Sohn fünf Jahre alt. Er hat fast einen Monat nicht mehr gesprochen und sich hinter dem Sofa versteckt. Da musste ich ihn immer füttern, er wollte nicht raus. Für ihn war es ein unheimlicher Schock. Meine Tochter hat das besser verkraftet. Dann wurde ich angerufen, ich müsse die Kinder verstecken. Sie sollten abgeholt werden, um sie vor dem Vater zu foltern, damit er redet. Ein Freund von Freunden hat gesagt: ‚Gib sie mir‘. Er hat mir auch geholfen, meinen Mann zu suchen. Aber wir haben ihn nicht gefunden, und da hat er gesagt: ‚Mensch, Du hast doch deutsche Eltern. Geh‘ doch mal in die Botschaft und frag’, ob sie Dir irgendwie helfen können‘. Das habe ich dann gemacht. Sie ließen mich lange warten, kamen schließlich mit einem Pass und sagten: ‚In zwei Monaten sind Sie alle in Deutschland´.“ ...


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