Indian Summer Sounds
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LESEPROBE

Auszug aus der Einführung des Booklets der Musikanthologie

INDIAN SUMMER SOUNDS

Musik der Nordamerikanischen Indianer

Von Dr. Michael Schlottner

(weitere Kapitel siehe unten)





BACK TO THE FUTURE - ZUR INDIANISCHEN MUSIK

Warme Strahlen der Herbstsonne und das rötliche Farbenspiel der Blätter bieten Momente für ein Innehalten. Der Indian Summer ist die Zeit für eine Rückbesinnung auf die zu Ende gegangene Saison der großen Outdoor-Veranstaltungen, gewährt aber auch Gelegenheiten für einen Ausblick auf das, was kommt. Das musikalische Geschehen wird sich in den nächsten Monaten wieder in Clubs und kleine Hallen verlagern oder, auf Reservationen, in Aulen und Turnhallen. Indoor- Powwows, aber auch Konzerte von Rockbands sind zu organisieren und vorzubereiten. Was in der Vor-Reservationszeit galt, ist auch heute noch zutreffend: ohne Musik ist das rote Amerika nicht vorstellbar.

Krieger am Schlagzeug. „... und an der Leadgitarre Mr. Ronnie Red Feather, Urgroßneffe von Crazy Horse, dem legendären Häuptling der Sioux.“ So oder ähnlich könnte der Gitarrist einer indianischen Band dem staunenden Publikum am Ende eines Konzerts vorgestellt werden. Nur bliebe der Bezug zu dem bekannten Häuptling wahrscheinlich ungenannt, denn anders als im sinnleeren Rummel um „Wannabe Popstars“, den Möchte-Gern Sternchen, wie ihn kommerzielle Fernsehsender betreiben, vermeiden indianische Musiker gewöhnlich jede Aufregung um ihre Person. In ihren tradierten Kulturen ist Prominenz kein Thema. Aber wird tatsächlich Rock, Reggae und Hip Hop im roten Amerika gespielt? Das nicht-indianische Nordamerika gibt sich meist ignorant gegenüber den Ureinwohnern und im alten Europa haben nur wenige von dieser Musikrichtung gehört. Stattdessen leisten Hollywoods nachhaltige Stereotypen, Klischees á la Karl May und Phrasen oder Bilder in zahllosen Kinderbüchern ganze Arbeit. Indianer mit Gitarren? Sollen die doch lieber federhaubengeschmückte Wilde bleiben, mit Marterpfählen, Tomahawks oder mit Pfeil und Bogen hantieren und dazu staksige Stampftänze zelebrieren. Oder eben Ökoheilige und Regenbogenkrieger, die als Exoten in westlichen Medien allenfalls einen Platz als entrückte Randerscheinungen verdienen. Aber Fakt ist Fakt: Indianer mit Gitarren sind heute Realität. Und die andere Musik aus dem roten Amerika? Ist das tatsächlich nur ein Unisono von bizarren Falsettschreien zu dumpfen Trommelschlägen? Verlogene Ideologien, nachhaltiger Rassismus und Desinteresse sind sicherlich ebenso diskriminierend wie groteske Romantizismen und bizarre esoterische Fantasien.

Alte und junge Traditionen. Nordamerikanische Indianer gliedern ihre Musik heute oft in zwei übergeordnete Genres: so genannte traditionelle Klangweisen und moderne Popmusik, die man zumeist als „Contemporary Native American Music“ bezeichnet. Die tradierten Stile werden gewöhnlich in einer der mehr als 1005 indianischen Sprachen vorgetragen, die heute noch geläufig sind, und erreichen fast ausschließlich allein ein indigenes Publikum. Den meisten Nicht-Indianern bleiben solche Gesänge und Rhythmen fremd, der musikalische Zusammenhang kann nicht gedeutet und deshalb auch nicht verstanden werden. Daher folgen viele Amerikaner den gerne in Western-Filmen ausgegebenen Parolen und bezeichnen solche Lieder abfällig als „Lärm“. Das riesige Repertoire dieses scheinbaren Getöses besteht unter anderem aus Gesängen, die man zu bestimmten Zeremonien oder Tätigkeiten singt, etwa bei anfallenden Arbeiten, bei tradierten Sportarten wie dem Stockballspiel, vor allem aber auch bei spirituellen Riten wie dem Schwitzhüttenritual. Zumeist handelt es sich um einen einzelnen Sänger beziehungsweise eine Sängerin, der oder die sich mit einer Rassel oder einer Rahmentrommel rhythmisch begleitet. Ein Beispiel für diesen Stil bietet die Paiute Judy Trejo mit ihren Liedern für Kreistänze. Seltener singen mehrere Sänger zusammen wie etwa die Lakota Sissy Goodhouse mit ihrer Familie in einem Gesang zu einem Rundtanz. Das heute bekannte Repertoire dieser Art ist bisweilen recht alt und lässt sich über mehrere Generationen zurückverfolgen; andere Lieder beruhen auf neuen Kompositionen. Wer alte Lieder singt, wird davon oft zu Neuem inspiriert.

Einen Gegensatz zu solchen Liedern bildet die Powwow-Musik, das Repertoire für indianische Tanzfeste, die allein in den USA jährlich mehr als 3000 Mal veranstaltet werden. Zu diesem Anlass setzt sich eine Gruppe von Sängern, der mitunter mehr als zehn Männer angehören, um eine flach über dem Erdboden aufgehängte, paukenähnliche Zylindertrommel, die jeder mit einem Schlegel in einem gemeinsamen Rhythmus schlägt. Der „keeper of the drum“ zeigt während des Spiels durch Gesten an, ob ein Rhythmus schneller oder langsamer beziehungsweise lauter oder leiser erklingen soll. Solche Trommelgruppen bezeichnen sich selbst als „singing groups“, da ihr Gesang im Vordergrund steht. Ein „Master of Ceremonies“ (Emcee) bestimmt den wechselnden Einsatz der verschiedenen Singgruppen, von denen bei größeren Veranstaltungen oft mehr als zwanzig anwesend sind. Häufig verweisen die Namen der Gruppen auf ihren Herkunftsort, wie im Falle der Badland Singers und Porcupine Singers (beide aus South Dakota) oder aber sie ordnen sich, wie Lakota Thunder, einem bestimmten Motto zu, während etwa der Name der Black Lodge Singers eine Referenz an einen Kriegerbund ist. Das Repertoire eines Powwows beginnt mit dem „Großen Einzug“ (Grand Entry), zu dem Flaggenlieder, Stammeshymnen und Preislieder für die Veteranen amerikanischer Kriegseinsätze gehören. So verweist man auf den Fortbestand der alten Kriegerethik, die in diesem Zusammenhang jedoch weniger Kampfbereitschaft signalisiert, sondern vielmehr Verbundenheit und Engagement für die Gemeinschaft. Dem Einzug folgen so verschiedene Tänze wie der Kriegs-, Gras- und Rundtanz oder der „Intertribal“, an dem sich auch Nicht-Indianer beteiligen können. Die Tänzer treten nach Geschlecht getrennt und in verschiedenen Altersgruppen auf. Seit den 1970er Jahren konkurrieren sowohl die Sänger/Trommler als auch die Tänzer miteinander um Preisgelder. Gerade am Beispiel der Powwow-Musik entpuppt sich manche musikalische „Tradition“ als verhältnismäßig junges Repertoire, denn obwohl die Tanzfeste als stolzes Vermächtnis der Vergangenheit gelten, handelt es sich eher um eine relativ moderne musikalische Entwicklung. So geht der Ursprung des Powwow, das heute Gelegenheit bietet, für sich und die Welt „Indianer-Sein“ zu zelebrieren, auf die Säkularisierung von Kriegertänzen des 19. Jahrhunderts zurück, die in „Indian Shows“ noch Anfang des 20. Jahrhunderts einem größeren nicht-indianischen Publikum vorgestellt wurden. Manch ein Gesang ist eine Wiederbelebung von alten Liedern, die man aus dem 19. Jahrhundert kennt, meistens aber handelt es sich um neuere Kompositionen, deren Zahl jedes Jahr während der auftrittsfreien Winterpause wächst.

Die weiteren Kapitel der Einführung aus dem Indian Summer Sounds Booklet lauten:

Vom Powwow zur Gitarre
Weißer Tanz
Auftrittsverbote
Rock Me At Wounded Knee
Rote Hits und weißer Boykott
Soundfabriken für das rote Amerika
On Air - oder auch nicht!
Geheime Hits
Do the Nammy!
Worte von Kriegern
Pop als Erzählung
Flötentöne
Sieben Generationen


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