INFORMATIONEN ZUM ALBUM
Rüdiger Oppermann
REISE NACH HARFISTAN
- Klangbilder für Harfen -
(Wundertüte CD TÜT 72.158)
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ZU DEN VERWENDETEN HARFEN
Die Harfe ...
... ist sehr wahrscheinlich das älteste Saiteninstrument der Menschen. Bereits auf 12.000 Jahre alten Felszeichnungen kann man sie erkennen. In zahlreichen alten Hochkulturen, namentlich Ägypten, China, Mesopotanien, bei den Kelten und in Zentralasien oder im afrikanischen Zimbabwe, spielte sie eine wichtige Rolle, vor allem als magisches Instrument - als Abbild der menschlichen Gestalt mit Kopf, Bauch und dazwischen gespannten Saiten.
Clairseàch - die irische Harfe ...
... gilt als "Nationalinstrument" der Iren und kann auf gut 800 Jahre Entwicklungsgeschichte zurück blicken. Ihre Ursprünge liegen immer noch im Dunkeln. Das älteste erhaltene Exemplar findet sich im Bestand des Dubliner Triniti College und hat 30 Messingsaiten sowie einen aus einem Stück ausgehöhlten Korpus. Die Kombination von Eiche und Weide - beide heilige Bäume der Kelten - deutet auch auf rituelle Funktionen dieser Harfe hin. Sie wurde mit langen Fingernägeln gespielt, die Melodie mit der linken Hand und die Begleitung rechts.
Fast alle Harfenisten waren blind. Als Barden kannten sie die gesamte überlieferte Geschichte der Stämme, die Genealogie der Helden, die Müten und Märchen auswendig. Und auch in Heilkunst und Magie waren sie gut bewandert. Mit dem Niedergang der alten irischen Aristokratie war ihr Leben als wandernde Hofmusikanten jedoch besiegelt. Durch ihre Botschaften und über die Verbreitung von Nachrichten beflügelten sie den beharrlichen Freiheitsdrang der irischen Stämme. Nach dem Sieg des englischen Imperiums und der Einverleibung der grossen grünen Insel in das erstarkende Empire, wurde das Spielen und der Besitz der Clairseàch bei Todestrafe verboten. Seither gilt die Harfe mit zerissenen Saiten als Symbol der Unfreiheit. Sie geriet in Vergessenheit, wozu sicher auch der Niedergang der alten Druiden- und Radenkultur und die Hinwendung des allgemeinen Musikgeschmacks zur italienischen Barockmusik mit beitrugen.
Wir wissen immer noch sehr wenig über diese Musik, die Verbindungen durch Weitergabe der Melodien vom Meister zum Schüler sind wahrscheinlich im 18. Jahrhundert unterbrochen worden. Aufzeichnungen alter Harfenmusik stammen aus späterer Zeit von Musikern und interessierten Lehrern, die selbst keine Harfe spielten. Sie sind deshalb mit Vorsicht zu geniessen, z.T. dem jeweiligen Zeitgeschmack angepasst, mit neuen Harmonien versehen und in Tonarten, die auf der Clairseàch nicht spielbar sind. Tourlough O’Carolan, dem berühmten blinden Harfenisten (1670 - 1738), gelang eine geniale Mischung aus irischer Hof-, Volks- und Barockmusik.
Seit einiger Zeit erleben wir eine beachtliche Wiederbelebung der Clairseàch, besonders in der Bretagne und in den USA, aber auch in Ireland selbst, in Frankreich, Schottland, Wales, England und Deutschland. Sogar in Kreisen der "klassischen" Konzertharfe spitzt man inzwischen die Ohren und akzeptiert, dass die keltische Harfe mitnichten die kleine Schwester der Konzertharfe oder ein Schülerinstrument ist, sondern die ehrwürdige Grossmutter in ihrem dritten Frühling.
DIE EINZELWERKE DES ALBUMS
SANTA BARBARA (Irische Harfe):
Das Traumstädtchen an der südlichen Küste Kaliforniens, wo sich kulturelle Einflüsse Südamerikas, Europas und Kaliforniens mischen, hat mir diese Melodie geschenkt.
REISE NACH HARFISTAN (Clairseàch solo); mit den Sätzen Paradise of the Heart / Brian Boru’s March / Lamento di Tristano:
Brian Boru, der erste irische König, soll der Sage nach Harfe gespielt haben. Dieses gemächliche Motiv ist eines der ältesten Harenstücke aus Irland - im Prinzip noch pentatonisch. "Lamento di Tristano" besteht aus einem schellen (La Rotta) und einem langsamen Teil. Als diatonische Melodie (7 Töne pro Oktave) könnte es ein Harfenstück gewesen sein und wird sonst mit Pfeifen und Trommeln gespielt (Italien, 14. Jahrhundert).
BLÜTENZAUBER (Irische Harfe Solo):
Die Stimmung AHCDEFGA ist selten bei uns, kommt jedoch in Japan oder im Flamenco häufiger vor. Auf der kleinen Harfe eröffnet sie ganz neue Klangmöglichkeiten.
AMETHYST (Irische Harfe, Clairseàch):
mit Dario Domingues (Flöte) und Holger Michalski (Baß). Ein Bekenntnis zur funkelnden Schönheit des Harfenklangs.
DER NEBELREITER:
... oder wie sich einmal der Meister des Harfenspiels auf der Suche nach dem Land der Harfner im Nebel verirrte, einige seltsame Wesen traf, nach vielen Irrwegen zufällig merkte, dass er schon da war und schließlich zum Marktplatz zurückkehrte, wo er seine Harfe verbrannte und fortan dem Wind lauschte ...
Mit den Sätzen
Töne des Fong: Nach der ältesten chinesischen Musiktheorie (Töne des Phönixmännchens Fong) bedingen und erzeugen sich die Töne gegenseitig. F (männlich), erzeugt C (weiblich), erzeugt G (männlich), erzeugt D (weiblich), erzeugt A (männlich).
Nhemamusasa: Ein Mbira ("Fingerpiano") -Stück aus Zimbabwe mit zwei ineinander verflochtenen Stimmen (Hushaura und Ktsinhira), verwoben mit Mangwilo, einem Xylophon-Stück aus Mocambique. Ein Beispiel für inhärente Muster (inherent patterns). Mehrere Strukturen sind wie Webmuster ineinander verflochten. Jede für sich ergibt keinen Sinn. Erst durch die exakte Verzahnung offenbaren sich ihre "geheimen" Melodien. Dieses Stück wird im Original in rasender Geschwindigkeit von zwei Musikern gespielt, die sich an einem fünftönigen Instrument gegenübersitzen.
Morrisons: Das traditionelle keltische Harfenstück hat Alan Stivell bekannt gemacht. In meiner veränderten Fassung (1. und 2. Teil werden gleichzeitig gespielt) und mit anderen Stimmen klingt es fast wie minimal music.
Zongo: Ein fünfstimmiges Stück Fliegenden Teppichs, das mich seit 1975 begleitet und zur Basis meines 1984 ur-aufgeführten Silberfluss-Projekts wurde, eines abend-füllenden Werkes für drei keltische Harfen, E-Gitarre und Perkussion.
Paradise of the Heart: Das rufende Motiv des bekannten Traditionals "Butterfly" hat mich hier inspiriert. Daraus ist 1983 in Kobenhagen die Theatermusik für "Labyrinth of the World and Paradise of the Heart" entstanden. Hier gehen Dario Domingues und ich sehr frei damit um. Die Vibratoeffekte und "gezogenen" Töne entstehen durch Druck auf die Decke. Dazu hat mich besonders die Arbeit mit der türkischen Gruppe "Tümata" an der Universität Istanbul angeregt.
Gending Tirtakentjana: Diese Melodie stammt aus Java und wird dort im Original von einem Gamelan-Orchester gespielt. Sie hat eine wunderbare spiralförmige Bewegung. Gamelan-Musik eignet sicht sehr gut für Drahtharfe. Die Gongs sind sehr genau nach astrologischen und mythischen Gesichtspunkten gestimmt.
(Rüdiger Oppermann)
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