Manis perkussive Exkursionen sind experimentierfreudig und abenteuerlustig und lustig/lustvoll ist er sowieso. Sein Leitmotiv scheint frei nach Gerd Kowa zu lauten: „Der Mensch hat Witz. Er möge ihn auch gebrauchen.“ Im Solo-Konzert präsentiert Mani seinen „gelehrigen Schüler aus Australien“, ein Spielzeug-Känguru, das alles wiederholt, was man ihm vorspielt oder vorspricht. Also trommelt Mani auf der Schlitztrommel kurze Schlagmuster vor, die das Känguru mit wackelndem Kopf und dank seiner Aufnahmefunktion nebst Krächz-Lautsprecher wiederholt. Natürlich wird auch Manis Begrüssung „Guten Abend, liebe Leute“ von dem kleinen krächzenden Känguru nachgeplappert. Im weiteren Konzertverlauf packt er weiteres Kinderspielzeug aus, aufziehbare Puppen und Plüschtiere, rotierende Kugeln und batteriebetriebene Fun-Toys, die allesamt Geräusche produzieren, klappern, rasseln, pfeifen. quietschen, knattern und auf klingende Weise irgendwelche Kunststückchen produzieren.
Dann stellt sich Maestro Mani vor sein kakophonisch lärmendes Spielzeugorchester und mimt auf Dirigent. Die Lacher hat er auf seiner Seite. Und dies schon seit dem Anbeginn seiner musikalischen Karriere.
In München, der Heimat Karl Valentins geboren, galt der clowneske Mani in der deutschen Rockszene wegen seines humoristischen Talents schon früh als „valentinesker Groucho Marx des Krautrock“. Legendär ist sein Auftritt als „Elektrolurch“, seit 1973 für die Fans ein erwünschtes Highlight in fast jedem Guru Guru- Konzert. Seine oft bajuwarisch gesungenen Songtexte zeichnen sich meist durch pointierten Witz aus. Berühmt sind seine launigen, ironischen und wortspielerischen Songtitel wie „Bonusdreck“, „Blue Huhn“, „Eschaudoningen“, „Rastafari in Bayuvari“, „Salto Mortadella“. „Sierra Nirvana“ usw.. Frecher, skurriler Humor und anarchischer, spielerischer Witz war und ist in der deutschen Rockmusik ein seltenes Gut. Mani Neumeier hat jede Menge davon und geizt damit mitnichten.
Mani, der Kaossilator und die Klangerneuerung
Das Programmieren von Drumcomputern ist absolut nicht seine Sache. Aber Mani ist an allen überraschenden, unüblichen, aufregenden Sounds interessiert, also auch an elektronischer Klangerzeugung, selbst wenn die Sounds aus billigsten Spielzeuggeräten „für den kleinen Klangtüftler im Kinderzimmer“ stammen. Im Stück „Tokyo Toys“ aus dem Duo-Album „Listen To The Rainbow“, das Mani gemeinsam mit seinem langjährigen Freund, dem Jazzgitarristen und Produzenten Werner Goos 2017 veröffentlichte, hört man neben schweren Riffeinwürfen der verzerrten E-Gitarre ein kunterbuntes Sammelsurium von Drumpatterns, Perkussionsspielereien und teils witzig-schrägen bis bizarren Sounds aus der Krabbelkiste japanischer Vorschulkinder.
Doch dieses verspielte Klangarrangement ist nicht nur augenzwinkernd schalkhaft, sondern auch klanglich innovativ. Von ähnlicher Machart ist auch der Titel „Funky Robot Dance“ aus dem gleichen Duo-Album „Listen To The Rainbow“. Doch hier kommt noch neben dem verblüffenden Funk-Groove, den Mani auf relativ leisen Xylophon-ähnlichen Klöppelinstrumenten mitreißend spielt, der Einsatz des Kaossilators hinzu. Das elektronische Effektgerät Kaossilator ist ein batteriebetriebener Synthie im Westentaschenformat, der Hunderte von Klangeffekten, Synthie- Sounds und schlagzeug-ähnliche Klänge bereitstellt. Mit einfachster Bedienung aber auch mithilfe des Zufallsprinzips lassen sich futuristische bis groteske Sounds erzeugen ein musikalisches Kreativ-Spielzeug wie geschaffen für den verspielten Klangtüftler und Kindskopf Mani Neumeier. Deutlicher noch prägt Manis Kaossilator- Einsatz den Song „I Am A Spaceboy“ aus dem Guru Guru-Album „Rotate!“. Spacig abgefahrene Weltraumsounds wie aus dem Soundtrack einer futuristischen Raumfahrt-Saga für große und kleine Astronauten, erzeugt durch Spielereien auf dem Touchpad des Kaossilators, begleiten Manis gesprochenen, nicht ironiefreien Spaceboy-Text: „Watch out for the black holes ... fly through the Wurmloch. This is not my home. But the shortest way to planet earth.“
Neben der Weiterentwicklung von Rhythmustechniken durch Verfeinerung der handwerklichen Fingerfertigkeiten und Hereinnahme von ethnischen Perkussionsinstrumenten und deren spezifischer Spielweisen galt Manis besonderes Interesse auch schon immer der Erweiterung des Klangspektrums. Fast in jedem Guru Guru- Album überraschte Mani mit genuin neuen Sounds oder originellen Klangverfremdungen.
Seit Jahrzehnten ist er einer der kreativsten, fantasievollsten Universal- Rhythmiker und Klangerneuerer, wobei seine besondere individuelle Qualität im Wechselspiel von Klanginnovation und Naturmusik entsteht.
Leseprobe aus dem Haupttext von Thomas Wehler
All that Jazz
„Der Jazz nimmt die mechanische Monotonie des modernen Alltags auf und verhöhnt sie!“ (aus einem Musikbuch für die Mittelstufe.) „Louis Armstrong der brachte
mich zum Jazz!“ (Mani Neumeier.)
„In Zürich war eine der besten Amateur-Jazzszenen Europas, zu der Zeit wenigstens. Wirklich gute Leute. die Schweizer waren weiter. Die hatten schon Hi-Fi-Stereo-Anlagen, als hier noch keiner wusste, was das war und hatten Plattenimporte. Wenn da eine neue Jazz Messenger-LP rauskam, oder Thelonius Monk, dann stand die eben in zwei Monaten im Regal. Die hatten da einen ganz andren Standard, die kannten viel mehr. Weil damals Bassistenmangel herrschte, konnte ich gleich bei Gruppen einsteigen, die mir eigentlich ’ne Kragenweite zu groß waren, aber das ging, irgendwie ging es. Dabei habe ich die modernen Harmonien gelernt“. (Uli Trepte.) Egal, wo die persönliche musikalische Entwicklung hinführen mag, ist der Jazz eine gute Schule. Heutigen Tags extrem eigentümlich anmutende Stilrichtungen wie Dixieland hatten dereinst durchaus ihren Stellenwert. Immer im Hinterkopf zu behalten ist, dass es sich dabei ursprünglich um populäre Musik handelte, mit an ihren Wurzeln alltagspraktischen Bezügen. Es durfte getanzt (!) werden, viele rhythmische Finessen entwickelten sich z.B. bei den Marschorchestern in New Orleans, die Hin- und Rückweg zum Friedhof stimmungstechmisch unterschiedlich untermalten. „Damals wurde zum Jazz noch getanzt!“ Zitat aus der Irene Schweizer Biographie. Bezogen auf ihre Frühzeit, u.a. eine lokale Presserezension zu ihrem Debut als 16 Jahre alte Pianistin bei einem Jazzwettbewerb in Schaffhausen ihrem Geburtsort erster Preis übrigens ein Herrenhemd, sie gewann einen echt eidgenössischen Siegerwimpel. „Jazz is the teacher funk is the preacher“ textete ein ehemaliger Ornette-Coleman-Mitstreiter (James „Blood“ Ulmer), „Jazz is not dead it just smells funny!“ machte Frank Zappa einen sehr gelungenen Scherz (auf „Roxy and Elsewhere“, Live-LP von 1973), der inzwischen sprichwörtliche Qualitäten angenommen hat (unter den Wissenden). Kurz: Jazz ist die Gebärmutter, der Inkubator, die Quelle zeitgenössischen Musikschaffens. Innerhalb dieser sehr ausgedehnten Genealogie bzw. Evolution entwickelten speziell afroamerikanische Musiker sehr avancierte Spielweisen und -techniken, die jenseits des populären Aspekts eine musikalischästhetische Selbstermächtigung darstellten. Saloppes Zitat aus den Spätzeiten des Jazz-Fusion-Gedankens (es stammt von einem Autor der Zeitschrift Sounds): „Wir sind nun an einem Punkt, wo es einen Wettkampf zwischen Hörern und Interpreten darstellt wenn der Musiker bzw. die Band komplizierter spielt, als es der Hörer verkraften kann, haben die Musiker gewonnen!“ Dieses Zitat soll nur den Endpunkt illustrieren mit geringfügigem Zeitversatz parallelisierte der Jazz die Entwicklung der modernen Kunst im Allgemeinen also der Übergang vom Gegenständlichen, der „Imitatio“ gewissermaßen zur Rebellion gegen Regeln hin bis zu einer nur noch selbstreferentiellen Form ( „Autopoeisis“).
In gewisser Hinsicht emanzipierte sich der Jazz von dem ganzen komplexen Geflecht der Herkömmlichkeiten um die Person des musikalisch Agierenden in’s Zentrum zu rücken. Ähnlich wie in der zeitgenössischen bildenden Kunst der/die Künstler/ in das eigentliche Werk darstellt, dessen materielles Korrelat eigentlich vernachlässigbar ist (Zitat eines Direktors der Tate Modern in London: „schlussendlich sind es ja wirklich nur drei Dachlatten, die jemand auf den Boden gelegt hat“.)
Natürlich ist im Jazz die (Sach-) Lage etwas anders, die Parallele entsteht, weil zur Rezeption avancierter Musik zumindest ein gewisses Mindestmaß an musikalischem Verständnis vorliegen muss, wobei in der bildenden Kunst Glauben ausreicht (an die das Kunstwerk eigentlich erst konstituierenden theoretischen Texte). Ein wichtiger Markstein war 1960 die Veröffentlichung des Albums „Free Jazz“ von Ornette Coleman. Damit war die letzte Stufe formalen Fortschritts erreicht, die Musik erklomm eine formalästhetische Höhe, an der ein Punkt überschritten war, wo sich nicht nur die Rhythmik, sondern auch die Harmonik völlig von der (klassischen) europäischen „Schulmusik“ gelöst hatte. In der Folge erstreckte sich die Evolution lediglich auf persönliches Virtuosentum sozusagen die Apotheose des schnellerhöher-weiter, wobei sich natürlich auch formalästhetische Fortschritte auch weiterhin einstellten, z.B. die Fusion-Phase von Miles Davis („Bitches Brew“).
Die beiden Initiativ-Gründungsmitglieder von Guru Guru Mani Neumeier und Uli Trepte hatten auf jeden Fall die klassische Jazzer-Biographie durchlaufen: vom Dixieland, Swing, zum Modern Jazz. Speziell Mani Neumeier wandelte schon früh auf investigativen Pfaden „Jazz meets India“ als Beispiel. Jazz vom Frühschoppen zur Far-Out-Kunstmusik. Uli Trepte dazu: „der Free Jazz gab zum ersten Mal dem europäischen Musiker die Möglichkeit Jazz zu spielen ohne sich im Griff des Amerikaners zu winden, weil der Free Jazz hat Elemente reingenommen, die eigentlich europäisch waren“. Jazz spielen heißt die Geschichte des Jazz durchspielen. Kein Wunder, daß 1968 der deutsche Jazz-Papst Joachim Ernst Behrendt Mani Neumeier zur „größten rhythmischen Begabung des deutschen Freejazz“ ausrief, um ihn in der Folge des Übergangs vom Free Jazz zum Free Rock für ewige Zeiten mit Nichtachtung zu strafen. Mani Neumeier: „Frauen mögen keinen Jazz also spielen wir jetzt Rock’n’Roll!“